Status quo der Desinfektion: Sicherheit für Anwender und Umwelt
Das wichtigste Fundament der Medizin ist der hohe Hygienestandard, dessen zentrale Bedeutung besonders in Zeiten der Pandemie und bei zunehmender mikrobieller Resistenzentwicklung sichtbar wird. Im Gesundheitswesen dient die Infektions-prävention der Patientensicherheit und dem Schutz der MitarbeiterInnen, in Unternehmen der Produkt- und Konsumentensicherheit. An die jeweilige Einrichtung adaptierten Hygienepläne sind in Österreich und Deutschland rechtlich verpflichtend und bedingen den Einsatz wirksamer Desinfektionsmittel. Bedenkt man die große Anzahl an Institutionen des Gesundheitsbereiches und erweitert diese um die produzierende Lebensmittelindustrie sowie pharmazeutischen Betriebe, sind entsprechend hohe Mengen an Desinfektionsmittel für oder vor bestimmten Arbeits-schritten unabdingbar.
Chemische Desinfektion und Umweltschutz scheinen auf den ersten Blick zwei diametral zueinander stehende Bereiche zu sein. Substanzen, die gezielt Mikroorganismen zum Schutz des Menschen eliminieren, können über Abwässer, auch umweltrelevante Mikroben unterschiedlichster Art abtöten. Zudem enthalten einige Desinfektionsmittel Moleküle, wie z.B. umweltstabile Aldehyde oder Quartäre Ammoniumverbindungen (QAVs), welche in der Umwelt akkumulieren und sich je nach Konzentration langfristig toxisch auf Wasserorganismen auswirken können.
Fokus Händedesinfektion
Händewaschen wird oft als die hautschonendere Version und Desinfektionsmittel als „aggressivere“ Maßnahme der Händehygiene vermutet. Gerade in der Pandemie zeigte sich jedoch, dass übermäßiges Waschen der Hände mit Seife die Hautbarriere schädigt und damit die Entstehung irritativ-toxischer Handekzeme begünstigt. Folglich ist die Händedesinfektion dem häufigen Waschen vorzuziehen. Anders als bei der Oberflächendesinfektion müssen jedoch hautverträgliche Wirkstoffe eingesetzt werden, da nur diese entsprechend regelmäßig vom Anwender geduldet werden. Zentrales Element der Infektionsprävention ist eine flächendeckende Verfügbarkeit von Händedesinfektionsmitteln, welche einen umfassenden Infektionsschutz aber zeitgleich eine hohe Umweltverträglichkeit gewährleisten.
Produkte mit Natriumhypochlorit (NaOCl) werden als „besonders schonend, biologisch und natürlich“ beworben. Dieser Wirkstoff ist jedoch hochtoxisch und chemisch reaktionsfreudig. Er stellt ein Flächendesinfektionsmittel dar. Zur Händedesinfektion ist er in den meisten Ländern nicht zugelassen.
Chemisch reine Alkohole – Propanol bzw. Ethanol – in hoher Konzentration weisen hingegen eine breite Wirksamkeit gegen Bakterien, Pilze und teilweise Viren auf, indem sie die Proteine der Mikroorganismen unmittelbar irreversibel denaturieren und damit zerstören.
Die Alkohole sind auf intakter Haut sehr gut verträglich und zeigen drei wesentliche Vorteile: Sie wirken sehr schnell, trocknen innerhalb von 15-30 Sekunden rückstandsfrei ab und zeigen keine schädlichen oder reizenden Rückstände für Mensch und Umwelt. Eine Resistenzentwicklung gegen Propanol oder Ethanol kann ausgeschlossen werden.
Der Entfettung der Haut beugen pflegende Zusatzstoffe wie z.B. Dexpanthenol und Vitamin E vor. Sie sind unbedenklich für die Umwelt, während Glycerin energieaufwändig petrochemisch hergestellt wird, d.h. erdölbasiert ist.
Insbesondere der Nutzen von Inhaltsstoffen, die als „remanente Wirkstoffe“ (z.B. Chlorhexidin, Triclosan, Mecetroniumetilsulfat, Orthophenylphenol), also auf der Haut verbleibende Wirkstoffe, deklariert werden, muss kritisch hinterfragt werden.
Für Chlorhexidin wurde z.B. eine bakterielle Resistenzbildung, Induktion von Kreuzresistenzen gegenüber Reserveantibiotika sowie Hautirritationen und Anaphylaxien beschrieben. Zudem bleibt das Molekül im Abwasser stabil. Auch Triclosan kann Kontaktallergien hervorrufen und ist hochtoxisch für Wasser-organismen. 2016 wurde es daher in den USA als umwelt- und gesundheitsschädige Substanz in abspülbaren Hand- und Körperreinigungsprodukten verboten.
Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) rät daher ab: „Präparate mit Zusatz antimikrobiell remanent wirksamer Wirkstoffe sind nicht zu empfehlen, da durch ihre Zugabe keine verbesserte Wirksamkeit erreicht wird, aber das Risiko von Nebenwirkungen ansteigt“.
Fokus Oberflächendesinfektion
Gerade zur Desinfektion von Oberflächen- und Instrumenten müssen zahlreiche Parameter wie Materialverträglichkeit, die benötigte Einwirkzeit und/oder das erforderliche Wirkspektrum berücksichtigt werden.
International ist der Trend zu biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln, wie z.B. der Einsatz von Enzymen, zu beobachten. Weiterhin werden zunehmend Desinfektions-tücher aus nachhaltigen Materialien, die bis dato oft aus PET (Polyethylenterephthalat) oder PP (Polypropylen) hergestellt wurden, angeboten. Für den professionellen Bereich werden vermehrt Produkte zur Oberflächendesinfektion auf Wirkstoffbasis von Peressigsäure (PAA, engl. peracetic acid) – welches nach Gebrauch in Sauerstoff, Wasser und Essig zerfällt – oder Aktivsauerstoff entwickelt. Sie weisen ein besonders hohes Leistungsspektrum (viruzid, sporizid) auf, sind mit vielen Materialien gut kompatibel und hinterlassen keine langlebigen toxischen Rückstände.
Eine wertvolle nachhaltige Ergänzung wäre die zeitnahe Umstellung auf upcyclingfähige oder recyclebare Desinfektionsmittelbehälter für Hände- und Flächendesinfektion und deren Rücknahme durch die Hersteller.
Datenbanken für Desinfektionsmittel
Wiener Desinfektionsmittel-Datenbank (WIDES-Datenbank), Österreich
Transparente Darstellung (in deutscher und englischer Sprache) der Gefährdungspotentiale kommerziell erhältlicher Desinfektionsmittel. Ermöglicht die Auswahl eines Desinfektionsmittels, welches für Personal, Patient*innen und Umwelt die geringsten Risiken bergen.
Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP), Österreich
Für routinemäßige Desinfektionsmaßnahmen im humanmedizinischen Bereich.
Robert-Koch-Institut (RKI), Deutschland
Liste geprüfter und anerkannter Desinfektionsmittel und -verfahren für behördlich angeordnete Desinfektionen im Humanbereich.
Desinfektionsmittel-Kommission des Verbundes für Angewandte Hygiene (VAH), Deutschlan
Für routinemäßige Desinfektionsmaßnahmen im humanmedizinischen Bereich.
Industrieverband Hygiene und Oberflächenschutz (IHO), Deutschland
Nach Vorgaben der EU-Biozidverordnung geprüft, Wirksamkeit mit Gutachten belegt. Die gelisteten Biozidprodukte decken den Humanbereich, Veterinärbereich sowie Lebensmittelherstellung ab.
Bioziddatenbank der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA)
Listung gemäß den Vorgaben der Biozidverordnung geprüfter und zugelassener Wirkstoffe.
© OÄ Dr. med. univ. Mahitab Khalifa-Paruch, Wien, 11/2021